Eine ausgewachsene Invasion durch die russische Armee, Tote und Verletzte, zerbombte Häuser ein anschwellender Flüchtlingsstrom. Verstörend ist es, was derzeit in der Ukraine passiert, dem größten Flächenstaat in Europa. Die brutale Konsequenz, mit der die russische Armee in die Ukraine vordringt, überraschte alle. Einen Angriff auf die Hauptstadt Kiev und andere Großstädte hat kaum jemand erwartet. Die Unberechenbarkeit, mit der dies geschah, macht die zu Schurken, die den Einsatzbefehl gaben. Man fragt sich warum es dazu kommen musste.
Es ist mir zu einfach, die Eskalation im Schema von Gut und Böse einzuordnen, den russischen Präsidenten Putin als einzig Schuldigen zu benennen und den Versuch zu unternehmen, Russland, meinend die russische Regierung nieder zu machen. Mit wirtschaftlichen, gar militärischen Mitteln Gegenwehr zu leisten ist ein fragwürdiger Reflex. Zum Opfer wird dabei die Zivilbevölkerung. Die leidet sowieso, in Russland, in der Ukraine und auch in Deutschland und Westeuropa, wenn nun wieder Geflüchtete zu versorgen sind, der Warenstrom stockt und die Preise für vieles, insbesondere fossile Energie steigen. Russland ist immerhin unser Hauptlieferant für Öl und Gas – die Handelsbeziehungen kommen aus besseren Zeiten.
Die Einseitigkeit der Berichterstattung über die Ukraine wurde schon 2014 zu Recht kritisiert. Natürlich müssen die Kampfhandlungen umgehend eingestellt werden. Aber ist es dann nicht kontraproduktiv, die Ukraine mit Waffen vollzupumpen? Natürlich ist der Einmarschbefehl, den zweifellos Putin gab, in jeder Hinsicht eine komplette Katastrophe, aber ist es richtig, in der Konsequenz die einfache russische Bevölkerung mit Sanktionen zu überziehen, offenbar in der Hoffnung, sie würden sich dann ihres Autokraten schon aus eigener Kraft entledigen? Hat das in Syrien mit Assad geklappt? Nein! Die vom Westen als böse markierten Diktatoren Muammar al-Gaddafi in Libyen oder Saddam Hussein im Irak wurden nicht von der eigenen Bevölkerung hingerichtet. Nachdem sie erledigt waren, erblühten in diesen Ländern keine prosperierenden Staaten und keine Demokratien.
Die einen scheinen seit acht Jahren Frieden in der Ukraine zu wollen, die anderen seit zehn Tagen, hört man aus Russland, sofern von dort nach Abschaltung der Nachrichtenkanäle für uns in angeblicher Pressefreiheit Lebende überhaupt noch etwas zu hören ist. Klar ist nur, dass sich Strickmuster wiederholen. Das Leid tragen die einfachen Leute.
Ein Waffenstillstand ist das Wichtigste. Danach haben so genannte Politiker so lange ihren Job zu machen, bis ein dauerhafter Frieden ausgehandelt ist. Die seit 1999 betriebene NATO-Osterweiterung und das EU-Assoziierungsabkommen von 2014 haben diesen Zustand nicht gebracht, sondern zu den Feindseligkeiten geführt, die 2014 zum Krieg in der Ukraine ausarteten und jetzt zum Einmarsch der Russen geführt haben. Wer den Irrsinn beenden will, muss nicht Waffen liefern und aufrüsten, sondern nachdenken.
Hier ein Paar empfehlenswerte Kommentare zum Zeitgeschehen:
„Keine Osterweiterung der NATO“, Genscher & Baker am 02.02.1990
Lüge in Kriegszeiten, 29.07.2014 von Mathias Bröckers
Einseitige Berichterstattung in den Medien, 22.04.2014 Interview mit Gabriele Krone-Schmalz
Gift und Galle statt kühler Vernunft und Diplomatie von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam, 04.03.2022
Wochenkommentar von Ferdinand Wegscheider, 05.03.2022
Nazis in der Ukraine? – Nein! Unmöglich! von Rainer Rupp, 05.03.2022
Okay, lasst uns über die Ukraine sprechen, Kommentar von Jasmin Kosubek am 06.03.2022